Armenien - Georgien
Kilometer 71.400 - 93.000
Fahrstunden 1203 - 1230
Reisewoche 92 - 93
09.06.2022 - 24.06.2022
1600 Kilometer gefahren in 27 Fahrstunden auf 16 Tage
Der Iran verabschiedet uns sehr entspannt. Wir kommen am frühen Nachmittag an die Iranisch-Armenische Grenze und sind uns nicht ganz sicher, ob die Zeit noch reicht um Armenien vor der Dunkelheit zu betreten. Die Grenze leert sich auf der Iranischen Seite bereits. Das Hauptgebäude mit 15 Schaltern wird nur noch von einem einsamen Teeverkäufer bevölkert. Nebenan im Zollhäuschen hören wir aber noch lautes Gelächter, was bedeutet, es ist noch jemand im Dienst und schaut, wie eigentlich an fast jeder Grenze üblich, lustige YouTube Videos. Dafür wird man schließlich von seinem Volk bezahlt. Als wir das Büro betreten, lachen wir erstmal mit. Ein Lachen ist immer ein guter Anfang. Natürlich haben wir, ehe wir widersprechen können, einen Tee in der Hand und die drei vom Zoll zerlegen zu unseren Ehren eine Wassermelone. Unter lautem Gelächter, ich weiß nicht ob hier alles noch so nüchtern zugeht, fängt der Zollbeamte, nachdem ich mein Melonenstückchen höflich ablehne, an mich mit
seiner Gabel zu füttern! Stückchen für Stückchen. Die Situation ist etwas skurril. Vor Lachen fliegen die Melonenteile beinahe durch das Büro. Nach einer halben Stunde Teetrinken, Melonenessen und Geschichtenerzählen fragt uns Mustafa, der hier scheinbar etwas zu sagen hat, warum wir eigentlich hier wären. Ja, warum eigentlich sind wir wohl an der Grenze und warum eigentlich sitzen die drei vom Zoll hier im Büro? Teetrinken, Melonenessen und Geschichtenerzählen ist doch ein ganz guter Grund!Wir erklären ihm, dass der Tee sehr gut schmeckt und die Melone eine hervorragende Überraschung an diesem heißen Tag war, dass wir aber auch noch den ein oder anderen Stempel auf unseren Papieren bräuchten, um das Land auf legalem Wege zu verlassen. “Ja dann müsst ihr ins Hauptgebäude!”, meint Mustafa. Ich gebe zu bedenken, dass dort für heute schon genug Tee und Datenvolumen (für YouTube Videos) geflossen ist, um den Feierabend einzuleiten. “Das Gebäude ist menschenleer!” Nach kurzer Bedenkzeit entschließt er sich, wohl weil wir uns so gut verstehen, mit uns hinüber zu gehen und tatsächlich nochmal den Rechner anzuschmeißen, um unsere Daten ins System zu hacken. Bingo! Eine Stunde später rollen wir entspannt nach Armenien hinein. Wir haben wohl zu viele Grenzen überquert, um uns tatsächlich über diese Ineffizienz zu Lasten der arbeitenden Menschen eines Landes aufzuregen. Da es nicht unser Problem ist, freuen wir uns über den Tee, das Obst und die nette Unterhaltung. Es war ein skurriler, aber durchaus sehr freundlicher Abschied von diesem Land, welches wir wohl nie richtig verstehen werden.
In Armenien sind die Minen etwas härter, die Kontrollen etwas genauer. Joanas Reisepass wird durchleuchtet, die Farbe geprüft, die Naht mit der Lupe kontrolliert und sie muss ein paar Fragen zu den Stempeln der anderen Länder beantworten. Die Daten des Carnet de Passage werden akribisch in den Computer getippt und erst nach der Bezahlung von Straßennutzungsgebühr öffnen sich die nächsten Tore in Richtung Zollgebäude. Hier müssen wir, das erste Mal seit Ägypten, unsere Taschen durch einen Scanner jagen. Nach einem kurzen Blick der Zollbeamten ist die Prozedur aber beendet. Endlich können wir das letzte Tor nach einer letzten Passkontrolle durchqueren. Nach drei Stunden sind wir schließlich durch. Ernster, aber effektiver. Es ist Geschmackssache was einem besser gefällt.
Nach sechs Wochen im Südosten der Türkei, Kurdistan und dem Iran haben wir uns an Steine, Staub und Sand gewöhnt. Die Luft war trocken genug, um die Schleimhäute nach wenigen Tagen trotz massiver Wasserzufuhr bis zum Nasenbluten auszutrocknen. Die Augen tränten vor Staub und in all der Hitze haben wir nie einen Fluss, See oder Pool zum Baden gefunden. Beim Überfahren des Aras, Grenzfluss zwischen Iran und Armenien, fühlen wir uns ein bisschen an den Orange River zwischen Namibia und Südafrika erinnert. Die Vegetation ändert sich hier jedoch, im Gegensatz zu der langsamen Begrünung auf dem Weg ins südliche Afrika, schlagartig. Vom Aras aus erstreckt sich eine tiefgrüne Bergkette vulkanischen Ursprungs 120 Kilometer nach Norden bis zum Ararat, dem höchsten Berg dieser Region. Der Geruch von feuchtem Gras dringt uns in die Nase, das Plätschern von dem kleinen Bergbach, der die Straße in die Berge begleitet, rauscht zusammen mit dem frischen Wind durch unseren Helm. Die kühle, feuchte Luft ist eine Wohltat für unsere ausgetrocknete Haut. 20 Kilometer hinter der Grenze schlagen wir unser Zelt in einem gemütlichen Seitental direkt am Fluss auf. Unter dem grünen Blätterdach lassen wir den Tag mit einer leckeren Pasta vom Benzinkocher ausklingen.
Mit dem morgendlichen Kaffee sitze ich auf einem Baumstamm vor dem Zelt und schaue über den kleinen Fluss. Auf der anderen Seite liegen steile Hänge, die sich bis in den blauen Himmel ziehen, in regelmäßigen Abständen von natürlichen Terrassen durchzogen. Auf der untersten Terrasse, nur wenige Meter oberhalb des Flüsschens trabt ein großer Hund entspannt durch das niedrige Gras zwischen den vereinzelten Bäumen. Als er mich wittert, hält er kurz inne, um mich zu mustern und ich bin mindestens genau so überrascht wie er. Das verwitterte, graue Fell, die spitze Schnauze mit den gelben Augen darüber und dieser elegante, gleitende Schritt: Es ist kein Hund, der mich dort mustert, es ist ein Wolf! Diesen intensiven Moment, den Bruchteil einer Sekunde, werde ich so schnell nicht vergessen. War der Wolf doch seit meiner Kindheit ein Symbol für Wildnis und mehr noch für ungebundene Natur, für Freiheit. Genau so elegant wie er aufgetaucht ist, verschwindet er wieder zwischen den dichteren Bäumen flussabwärts.
Die Straßen in Armenien sind endlich wieder richtig griffig. Trotz der vielen Schlaglöcher und plötzlich auftauchenden Schotterpassagen macht es richtig Spaß mal wieder etwas Schräglage zu bekommen. Armenien mit seinen grünen Bergen ist ein belebender Kontrast zu den vergangenen Wochen. Wir genießen einfach die Natur, die vielen Flüsse, Seen und die heißen Quellen. Die Architektur ist nach den kunstvoll verzierten Iranischen Bauten wieder auffallend simpel und von gewohnten christlichen Fresken und Kreuzen geprägt. Jedes zweite Tal beherbergt beeindruckende Kloster und ganze Klosterkomplexe, die man hier immer ohne Eintritt bezahlen zu müssen, anschauen und fotografieren kann. Die Mentalität der Menschen ist wie so oft sehr gastfreundlich, aber hier auf eine sehr angenehme, unaufdringliche Art und Weise.
Nahe der Hauptstadt Jerewan finden wir einen traumhaften Campingplatz, den ersten vernünftigen seit wir Südafrika verlassen haben. Hier können wir uns mal wieder duschen, unsere Kleidung waschen, ein paar kleinere Reparaturen an Zelt und Zeltmatten vornehmen und unsere Hängematte aufspannen. Kurzum: Wir legen ein paar entspannte Tage Pause ein. Der “3Gs” Campingplatz ist ein Treffpunkt für Überlandreisende aller Art. Strategisch ist der Ort wirklich ideal gelegen, auf der Hauptroute von Georgien in den Iran, ausreichend Abstand zur Stadt in einer ruhigen Nachbarschaft, an den kühlen Hängen des Berges aber dicht genug, um Erledigungen und Besichtigungen in Jerewan zu starten. Der Platz wird von Sandra und Marty, einem Niederländischen Pärchen mit viel Liebe geführt. In der riesigen Küche kochen wir direkt zu unserer Ankunft für alle, die hungrig sind, aber vor allem für alle, die Lust auf einen Abend voller lustiger Geschichten aus aller Welt haben. Wir sprechen Englisch, Deutsch, Spanisch, Afrikaans, Französisch und etwas Italienisch. Zum Schluss sitzen wir mit zwölf Reisenden aus der ganzen Welt zusammen. Die meisten von ihnen auch noch Motorradfahrer. Wir tauschen Erfahrungen über die kommenden und vergangenen Grenzübergänge aus. Hängen über Landkarten, um die schönsten Routen zu finden, witzeln über die Eigenheiten der Herkunftsländer des jeweils anderen, haben einfach einen wunderbaren internationalen Abend. Es gibt hier keine Schwarzmalerei wegen irgendwelcher weit entfernten Kriege oder überdramatisierter Infektionen. Die Welt ist so friedlich unter Reisenden. Die Energie an diesen bunten Tagen unter all diesen Nationalitäten ist einfach durchweg positiv. Es ist faszinierend, wie viel entspannter die Menschen die Welt sehen, die die Welt gesehen haben.
Zu späterer Stunde kommt ein schweigsamer Geselle in unsere Runde und setzt sich ohne ein Wort zu sagen zu uns. Eine abgetragene Lederjacke, verfilzte lange Haare, uralte Cowboystiefel, deren ursprüngliche Farbe man nicht mal mehr erahnen kann und die unverkennbaren Flügel des Moto Guzzi Logos auf seinem ausgewaschenen T-Shirt, welches sich über seinen breiten Brustkorb spannt. Manuele aus Italien. Er ist keiner Sprache mächtig, die wir beherrschen, aber fühlt sich offensichtlich wohl mit seinem Bier am Rande unserer Gruppe.
Von den vielen unerwarteten Begegnungen hier in Armenien ist die größte Überraschung Debbie und Ian zu treffen. Sie kommen aus Durban, Südafrika und sind mindestens genau so überrascht wie wir, als wir sie auf ihr Nummernschild ansprechen: “Woher wisst ihr welche Region in Südafrika das ist?” Wir erklären ihnen, dass wir vor kurzem für drei Monate durch ihr Land gereist sind und uns ein bisschen auskennen. Im folgenden Gespräch merken wir, wie sehr wir Afrika doch schon vermissen. Diese ehrliche, geradlinige Art die Dinge beim Namen zu nennen, diese ernste Hilfsbereitschaft und die grobe, aber herzliche Art miteinander umzugehen. Es ist klasse hier an diesem Ort fern von unserer und auch ihrer Heimat einen solch schönen Rückblick auf unsere Zeit dort unten zu bekommen. So wie wir unsere Herkunft niemals verleugnen können ohne uns selbst etwas vorzumachen, so können auch die beiden nicht aus ihrer Haut. Es ist auch gar nicht gewollt, denn sie sind wie wir stolz auf ihre Herkunft und das trotz der nicht immer rosigen Vergangenheit. Wir durchleben einen Teil der Reise ein weiteres Mal in diesen langen Unterhaltungen, die natürlich wie es sich für Südafrikaner gehört meist am Braai (Grill) stattfinden :-D
Als ich in mein Buch vertieft in der Hängematte zwischen den niedrigen Ahornbäumen liege, startet auf der Terrasse unterhalb ein Motor. Es ist nicht irgendein Motor, die Melodie der zwei Kolben kommt mir seltsam bekannt vor. Also will ich doch mal nachsehen, ob ich richtig liege...
Es ist tatsächlich der V2 einer Moto Guzzi Stelvio. Manuele, der schweigsame Kerl vom Abend zuvor, sitzt entspannt und breitbeinig auf dem Gefährt, den V2 zwischen den Knien. Er hat die Augen genüsslich geschlossen und würden ihm die Flügel des Moto Guzzi Logos direkt aus den Schultern wachsen, würde es in diesem Moment nicht seltsam wirken. Als er die Augen öffnet, versuche ich mit meinen mangelhaften Italienisch-Kenntnissen irgendwie die Begeisterung für diesen Motor auszudrücken. “La Musica” sage ich anerkennend mit einem Deut auf den brabbelnden V Motor. Das verstehende Lächeln in seinem Gesicht spricht Bände. “Si, Musica per il nostro cuore...” spricht er melodisch, während er eine Faust auf sein Herz legt und hinzufügt: “...mio fratello!” (Ja, das ist Musik für unsere Herzen, mein Bruder). Während der Motor weiter läuft und diese Herzensmelodie verbreitet, zeige ich ihm an Hand von ein paar alten Bildern meine Herzensverbindung zu Moto Guzzi. Ein Bild von mir als Kleinkind im Beiwagen einer alten V2 und danach sind wir sind unzertrennlich. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache sprechen und Manuele der schweigsame Typ ist, der mit keinem auf dem Platz mehr als ein guten Morgen gewechselt hat und mit seiner eher grimmigen Erscheinung nicht so weltoffen wirkt wie der Rest, sind wir von nun an unzertrennlich. Er erzählt mit Händen und Füßen wie er vor zwanzig Jahren das Mittelmeer umrundet hat, wie seine Frau ihn verlassen hat (oder gestorben ist, habe ich nicht ganz verstanden) und dass die Guzzi jetzt seine Frau ist. Die Frage mit welchem Motorrad er seine zahllosen Touren bewältigt hat, ist überflüssig. Er schaut mich kurz verständnislos an und legt wieder seine Faust aufs Herz: “Siempre Moto Guzzi!” (Für immer Moto Guzzi!) Außer dem Motorrad verbindet uns nicht vieles, aber die Bewunderung füreinander ist groß. Manuele ist trotz seines hohen Alters noch ein richtiger Biker vom alten Schlag. Er führt keine Karte mit sich, kein modernes Mobiltelefon, kein Navigationsgerät. Sein Gepäck ist in einer Sporttasche, welche er gegen den Regen in einen Müllsack eingewickelt hat und mit zwei Stricken hinter sich auf die Sitzbank bindet. Jeans, flickenübersähte Lederjacke, Cowboystiefel und eine Flasche Grappa in der Halterung am Lenker. So möchte ich auch durch die Welt touren, wenn die Kinder mal groß sind und die Rente eingeläutet ist. Man kann die Zufriedenheit spüren, wenn er mit seinem offenen Jet-Helm auf der Guzzi sitzt, wie er es wohl seit fast einem halben Jahrhundert tut. Selten haben wir einen Menschen getroffen, der sich wie ein Fels in den Gezeiten so treu geblieben ist ohne sich zu verbiegen. Bewundernswert.
Nach den entspannten, sehr kommunikativen Tagen machen wir uns auf den Weg, weiter nach Norden in Richtung Georgien. Wir sind nicht allein auf diesem Weg, denn ein junger Weltreisender, Max, begleitet uns auf seiner alten Honda Transalp. Er hat sich übers Internet mit uns verabredet und fängt uns auf dem 3Gs Campingplatz ab. Er ist auf dem Weg nach Pakistan. Natürlich ist es für ihn als Neuling in der Reisewelt interessant was wir zu berichten haben, gerade weil wir genau aus der Gegend kommen, in die er fahren möchte. Wir sprechen über lustige Grenzregularien, sein etwas überladenes Motorrad, was man so braucht und was man wirklich nach Hause schicken sollte und so weiter. So vergeht die Zeit auf den kurvigen Straßen durch die Berge und Täler im Norden Armeniens wie im Flug. Das Land ist tatsächlich klein genug es an einem ehrgeizigen Fahrtag der Länge nach zu durchqueren. Trotzdem hat es viele abwechslungsreiche Landschaften, wunderschöne Bergtäler und hohe Pässe. Stets kann man rechts und links die Berge auf teils wirklich anspruchsvollen Pisten erklimmen und sich spielend verausgaben bei diesen Experimenten.
Die Grenze zu Georgien überqueren wir wieder auf uns gestellt. Max ist ja eigentlich in der entgegengesetzten Richtung unterwegs und hat seine Route nur uns zuliebe etwas abgeändert. Die Grenzüberquerung verläuft gänzlich unspektakulär. Wir fahren noch am selben Tag nach Tiflis, da ich seit einigen Tagen an Ohrenschmerzen leide. Eine Woche Zwiebel aufs Ohr hat nichts geholfen, Kamillendampfbad zwecklos, Spülen mit Kochsalz, Ohrentropfen, viel Ruhe mit übertrieben gesunder Ernährung, alles ohne spürbaren Erfolg. Es ist also soweit, das erste Mal auf dieser Reise muss ich zum Onkel Doktor, um mal sehen zu lassen was los ist. Leider ist heute Samstag. Wir fragen in zwei staatlichen und drei privaten Krankenhäusern nach einem HNO Arzt, aber werden jedes Mal mit dem Hinweis auf den kommenden Montag rausgeschickt. Also noch zwei Tage Ohrenschmerzen. Wird mich schon nicht umbringen.
Wir fahren Richtung Norden, wollen in die hohen Berge an der Russischen Grenze. Als wir an einem unauffälligen Kontrollposten unweit der Hauptstraße vorbeikommen, winken die Polizisten, die dort im Schatten unter einem Baum stehen energisch. Wir wundern uns etwas, aber fahren auf der schmalen, etwas zugewucherten Asphaltstraße weiter. Plötzlich überholt uns ganz knapp ein Pickup mit lautem Hupen, Sirene und Blaulicht. Der füllige Polizeibeamte brüllt etwas von “Stopp, Stopp, Russki, Russki”. Stopp, die Russen kommen? Hä? Der Krieg, den Russland gerade führt, ist nun wirklich weit entfernt. Wir drehen also erstmal rum und fahren zurück zum Kontrollposten, um uns dort zu erkundigen was das Problem ist. Man erklärt uns, der Teil von Georgien, den wir befahren möchten, ist seit einiger Zeit von Russland besetzt und nennt sich SüdOst-Ossetien. Tatsächlich, bei genauerem Hinsehen erkennen wir, dass hier eine gestrichelte Grenze, also eine international oder lokal nicht anerkannte Grenze verläuft, man sich also quasi in einem annektierten, besetzten oder umkämpften Gebiet befindet. Na, da müssen wir wohl beim nächsten Mal genauer hinsehen. Wir kennen solche Gegenden von Afrika und haben sie dort immer vorsichtig gemieden, aber wir haben mit so etwas hier im geografischen Europa nicht mehr gerechnet. Ohnehin sind die Berge, die da vor uns liegen von Regenwolken verhangen, da ist die Situation zu verschmerzen. Wir drehen rum und fahren über die Hauptstraße in den gemütlichen Ort Gori im Zentrum Georgiens.
Dort nehmen wir uns vor allem wegen des kommenden Regens und meinen immer schlimmer werdenden Ohrenschmerzen ein kleines Zimmer. Am Montagmorgen stehe ich vor dem Militärkrankenhaus in Gori. Es ist tatsächlich das beste Krankenhaus im Ort und entgegen des Namens auch allen zivilen Patienten zugänglich. Dennoch ist die überwiegende Mehrheit verletzte Soldaten. Wo auch immer sie zurzeit kämpfen oder trainieren muss es ganz schön rund gehen. Es dauert eine Weile bis ich den HNO Arzt finde. Im Behandlungszimmer stelle ich dann fest, dass hier nur Georgisch und Russisch gesprochen wird, aber Ohrenschmerzen sind nun wirklich nicht schwer darzustellen als geübter Pantomime. Auch welche Behandlungsversuche ich schon unternommen habe, kann ich schnell erklären, unter anderem mit dem Bild der gesunden Lebensmittel an der Wand (inklusive dem Bild einer Zwiebel). Nachdem er das Ohr mit einer übergroßen Kochsalzspritze gereinigt und einen Blick hinein geworfen hat, erklärt er mir ich habe eine Gehörgangs Entzündung. Das kommt vermutlich von dem Waschen in kalten fließenden Gewässern und dem anschließenden Motorradfahren. Ich soll eine Salbe in das Ohr schmieren und mit meiner Zwiebelbehandlung fortfahren. Super! Joana wird mich weiterhin für meinen Geruch lieben :-D
Wir machen vier Tage Regen- und Regenerationspause. Nachdem wir auf den Wetterbericht schauen und uns die Geschichten von befreundeten Motorradreisenden anhören, die gerade aus den Bergen kommen, entscheiden wir, dass es wohl noch zu früh im Jahr ist um Georgiens Berge zu genießen. Außerdem wartet ein guter Freund auf uns kurz hinter der Grenze zur Türkei und wir haben versprochen pünktlich zu sein. Die kurze Zeit, die wir im Land verbracht haben, wird Georgien leider nicht gerecht, aber auch wir können nicht immer alles mitnehmen.
Auf dem Weg nach Süden verabschiedet uns Georgien noch einmal mit einer netten Geste. Joana überfährt mit voller Absicht eine rote Ampel, um mich im dichten Verkehr nicht zu verlieren. Was sie nicht merkt ist die zivile Polizei, die sie bei dieser Aktion auch noch überholt. Natürlich endet die Fahrt an der nächsten Tankstelle recht abrupt, als das blaue Licht neben ihr blinkt. In den meisten Ländern, die wir in den letzten zwei Jahren bereist haben, hätte es keinen interessiert ob ein Motorrad bei Rot anhält oder fährt. Wir nähern uns aber in großen Schritten wieder unserer Europäischen Heimat und dort sieht man es natürlich etwas engstirniger. Da können wir uns doch bei der Gelegenheit schon mal dran gewöhnen. Die Toleranz Gästen gegenüber scheint hier aber tatsächlich noch etwas größer zu sein. Nach einer kurzen Predigt heißt uns der ernst dreinblickende Polizist dann aber mit einem Lächeln willkommen, erklärt uns, dass sie ihre Gäste hier in Georgien lieben und uns diesmal so davonkommen lassen. Puh. Das war doch mal eine nette Begegnung. Gut gelaunt und tatsächlich etwas vorsichtiger fahren wir weiter der Türkei und unserem Überraschungsbesuch entgegen.