Kilometer 65.700 – 71.400
Fahrstunden 1107 – 1203
Reisewoche 88 – 91
14.5.22 – 8.6.22
5700 Kilometer gefahren in 96 Fahrstunden auf 27 Tage.
Das große Schiebetor der Grenze Türkei - Iran öffnet sich, wir dürfen durchfahren. Ich lege schon den ersten Gang ein, halte dann aber nochmal inne. Ich muss im Iran ein Kopftuch tragen, das hatte ich fast vergessen. Schnell lege ich es mir über, dann fahren wir hinein in das neue Land, auf das wir uns schon seit geraumer Zeit freuen. Sofort sind wir umzingelt von zwanzig Männern, die alle auf uns einreden. Alle wollen „helfen“. Ich fühle mich etwas an Ägypten erinnert. Von Mario und Matej, die wir in der Türkei trafen und die bereits in den Iran gereist sind, haben wir den Kontakt eines ehrlichen Grenzhelfers. Mit ihm habe ich schon einige Tage vorher kommuniziert und einen annehmbaren Preis für seine professionelle Hilfe ausgehandelt, damit er uns schnell über die Grenze bringt. Wo es möglich ist, vermeiden wir diese Gesellen, Fixer, Broker, Helfer oder wie immer sie sich nennen. Aber erstens haben wir von unserem Kontakt hier, Hossein ist sein Name, nur Gutes gehört und zweitens nimmt er nicht viel Geld. Außerdem ist es in Ländern mit anderen Schriftzeichen von Vorteil jemanden an der Seite zu haben, der sich auskennt. Nachdem wir erfolgreich alle anderen „Helfer“ ignoriert haben, kommt nach kurzer Zeit Hosseins Vater zu uns geflitzt. Ein kleiner rundlicher Herr um
die 60, der aber irgendwie Respekt einflößend wirkt. Mit unseren Pässen, Visa und unseren Carnets läuft er festen Schrittes von Schalter zu Schalter. Er „parkt“ uns in einer Ecke, versorgt uns mit Tee und sagt wir sollen warten. Nach einer Stunde kommt er mit verschmitztem Grinsen zurück. „Alles erledigt, folgt mir.“, sind seine Worte. Der kleine Mann stampft entschlossen voraus, wir im Schritttempo mit den Mopeds hinterher. So verlassen wir das Grenzgelände zügiger als erwartet unter den erstaunten Blicken und Rufen von all den Männern, die sich dort noch tummeln. 60 Kilometer sind es bis Urmia, der nächsten Stadt, wo Hossein mit seiner Familie wohnt und ein kleines Gästehaus hat. Hosseins Vater fährt voraus, wir hinterher. Kurz vorm Dunkel werden und nach einem sehr chaotischen Verkehr, der dem in Kairo oder Khartum ähnelt, kommen wir schließlich im Gasthaus in Urmia an, wo wir direkt von zwei anderen Reisenden begrüßt werden. Didi und Sebastian kommen ebenfalls aus Deutschland. Didi ist mit einem Defender unterwegs, Sebastian mit einer Yamaha Tenere 700. Beide sind sie auf dem Weg nach Pakistan. Ein wenig später kommt auch Hossein und heißt uns herzlich in seinem Land willkommen. Wir lassen den Abend beim gemeinsamen Essen in einem nahe gelegenen Restaurant ausklingen. Am Folgetag hilft uns Hossein noch eine Simkarte zu besorgen und Geld zu wechseln. Von nun an sind wir Millionäre: 1€ sind 300.000 Real! 200€ haben wir erstmal getauscht und fahren jetzt mit einer Plastiktüte voller Geld durch die Gegend…ein seltsames Gefühl. Während Didi noch damit kämpft, iranische Nummernschilder für sein Fahrzeug zu bekommen, sind wir in Aufbruchsstimmung. Allah sei Dank brauchen Motorräder keine iranischen Nummernschilder! Sebastian beschließt mit uns gemeinsam aufzubrechen. Voller Vorfreude fahren wir dem neuen Land entgegen.
Da wir erst mittags loskommen, schaffen wir an diesem Tag nicht mehr viele Kilometer. In einem kleinen Ort wollen wir noch etwas einkaufen, bevor wir uns einen Platz in der Wildnis für unsere Zelte suchen. Vor einem kleinen Laden parken wir unsere Motorräder, Josh und Sebastian gehen rein, ich bleibe draußen bei den Bikes. Es dauert nicht lange, da versammeln sich einige Männer um mich und die Motorräder. Sie sind begeistert von den Maschinen, freuen sich und machen Fotos. Große Motorräder wie das von Sebastian sind hier im Iran etwas ganz besonderes, denn Iraner dürfen nur Maschinen bis 249ccm fahren. Iranische Frauen dürfen gar kein Motorrad fahren. Demnach ist es natürlich immer ein großes Spektakel, wenn Touristen auf Motorrädern vorbeikommen. Ich merke aber leider relativ schnell, dass ich für die Gruppe Männer nur Luft bin. Einer der Männer nimmt mich aber zumindest wahr und will scheinbar besonders cool wirken. Er läuft vor mir hin und her und klappt dabei sein Taschenmesser im Rhythmus seines Schrittes auf und zu. Sie sehen Josh und Sebastian im Laden, stürzen hinein und fragen woher wir kommen. Sie hätten ja auch mich fragen können, die ich direkt neben ihnen stehe…bevor wir fahren werden jede Menge Fotos gemacht, ich soll allerdings nicht mit aufs Bild. Als ich dann ein Bild von Sebastian mit allen vor seinem Bike mache, werde ich nur ganz erstaunt mit großen Augen betrachtet. Ich wusste ja was auf mich zu kommt, als wir uns dazu entschieden haben, durch den Iran zu fahren, aber wenn man es dann so am eigenen Leibe und direkt am ersten Tag im neuen Land zu spüren bekommt, fühlt es sich nicht gut an. Wir finden gemeinsam einen schönen Platz hinter dem Dorf, wo wir unsere Zelte aufschlagen können. Die Stimmung ist von dem Erlebnis noch etwas gedrückt, ich frage mich, ob es an mir liegt und ich etwas falsch gemacht habe. Wir versuchen die schweren Gedanken über Bord zu werfen, kochen zusammen, genießen den Sonnenuntergang und schwelgen in Reisegeschichten. So wird unsere erste Zeltnacht im Iran doch noch zu einem schönen Erlebnis.
Unser erstes Ziel sind nach einer Empfehlung von Akbar, einem iranischen Freund und Motorradreisenden, die Ruinen von Tahkt-e-Suleiman, eine 1500 Jahre alte Tempelanlage, die auf einem Vulkankegel erbaut wurde. Kurz nachdem wir die Zelte am nächsten Morgen eingepackt haben, trifft uns eine heftige Windböe, die fast mein Moped umweht. Mit der zweiten und dritten Böe ahne ich Schlimmes und soll Recht behalten: Ein Sandsturm zieht auf. Wir werden ordentlich auf unseren Bikes hin und her geworfen. Die Sicht wird von Minute zu Minute schlechter, die Luft stickig, wir können nur noch mit Tuch vor der Nase fahren. Beim UNESCO Weltkulturerbe angekommen, sehen wir fast gar nichts mehr. Trotzdem schauen wir es uns an, jetzt wo wir einmal hier sind. Die Ruinen mit dem kleinen See in der Mitte, der einst ein aktiver Vulkan Krater war, sind eigentlich schön anzuschauen, aber mit dieser Sicht kommen sie absolut nicht zur Geltung. Wenigstens gibt es in dem kleinen Kiosk am Festungseingang guten Kaffee. Wir flüchten uns an diesem Abend in ein Hotel im nächsten Ort, um dem Wind zu entgehen.
Sebastian fährt am nächsten Tag nach Teheran, wir wollen diesen Moloch allerdings wenn möglich vermeiden und drehen nach Süden ab. Wir verabreden uns in Isfahan wieder, um dort noch ein paar Tage zusammen die Stadt und die Kultur zu genießen. In der Zwischenzeit werden wir unsere Zeit in Saveh verbringen, einer kleinen Stadt südlich von Teheran. Über das Internet erreichte uns vor ein paar Tagen eine Nachricht von einer gewissen Monika aus Wetzlos. „Hallo, ich bin Monika aus Wetzlos und lebe jetzt in Saveh, ihr könnt gerne hier vorbeikommen!“ Das hat natürlich direkt unser Interesse geweckt! Wer wohnt denn hier im Iran und kommt ursprünglich aus Wetzlos, den wir nicht kennen?! Wir finden die kleine Farm etwas außerhalb von Saveh ohne Probleme und werden von Monika und ihrem Mann Javad freudig empfangen. Javad hat vor vielen Jahren in Deutschland studiert und dabei haben sich die beiden kennen und lieben gelernt. Sie haben schließlich geheiratet und 1990 entschieden, im Iran zu leben. Seitdem sind sie hier, mittlerweile um die 70 und nur noch ganz selten in Deutschland. Für Javad mit seinem iranischen Pass wurde es über die Jahre immer schwieriger, ein Visum und später eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Als er mit dem Studium in Witzenhausen begonnen hat, brauchte er nicht einmal ein Visum, er konnte jederzeit und nahezu unbegrenzt nach Deutschland kommen. Jahre später wurde es für denselben Menschen, trotz seiner, in der Zwischenzeit in Deutschland erworbenen, Qualifikationen und seines vorbildlichen Verhaltens fast unmöglich in unserem Land zu bleiben.
Einen Tag wollten wir eigentlich bei den beiden bleiben, aber wir fühlen uns so willkommen, dass wir uns erst nach vier Nächten auf der Farm wieder losreißen können. Josh kann Javads Werkstatt nutzen, um an den Bikes zu schrauben. Bei mir muss ein Radlager gewechselt werden, welches wir zum Glück bereits in Urmia am Straßenrand kaufen konnten. Joshs Moped hat ein Leerlauf-Drehzahl Problem, welches gelöst werden will. Die Maschine dreht zu hoch. Hier kann er das alles in Ruhe erledigen. Javad schaut neugierig über seine Schulter. Irgendwann stecken sie beide mit ihren Köpfen im Moped, jedes Mal, wenn ich sie in der Werkstatt besuche, ein Stück tiefer. Nachdem unsere Motorräder auf Vordermann gebracht sind, merkt Javad an, dass sein kleines Farm Motorrad ein Vergaser Problem hat. Das wird natürlich nicht links liegen gelassen und so bekommt die alte indische Maschine eine komplette Inspektion von der Fachwerkstatt Steinberg. ?
Ich sitze derweil mit Moni in der Küche und philosophiere über unsere Reisen und über das Haunetal. Sie ist natürlich brennend interessiert daran, was sich alles so verändert hat. An unserem letzten Abend lernen wir ihre iranische Großfamilie kennen. Amin, Monis und Javads Sohn, kommt mit seiner Frau Arefe und einem Teil ihrer Familie aus Teheran zu Besuch. Amin und Arefe leben zurzeit in Deutschland, da Amin dort studiert. Gerade sind sie zu Besuch im Iran. Wir haben einen tollen Abend mit traditionellem iranischem Essen. Leider können wir nicht so viel verstehen wie wir gern wollen, denn der Großteil der Familie spricht nur Farsi. Am Morgen vor unserer Abfahrt gibt es noch eine große Überraschung. Amin hat jede Menge Köstlichkeiten aus Deutschland mitgebracht! Wir werden mit Vollkornbrot, drei verschiedenen Käsesorten und richtig gutem Kaffee verwöhnt. Es ist fast wie in Wetzlos. Mit frischer Energie kann die Reise weiter gehen! Unter anderen Umständen wären wir bestimmt länger bei Moni und Javad geblieben, aber leider haben wir nur 45 Tage Visum für den Iran und noch jede Menge Kilometer vor uns. So heißt es Abschied nehmen und zurück auf die Straße.
In einem Rutsch fahren wir nach Isfahan, wo wir direkt nochmal in eine Werkstatt müssen. Mein zweiter Gabelsimmering hat sich verabschiedet und muss erneuert werden. Dafür braucht Josh etwas Werkzeug, welches er aus Gewichtsgründen nicht permanent mit sich führt. Die Werkstatt „Brothers Overlanding“ ist ein bekannter Anlaufpunkt für Reisende mit Reparaturbedarf aller Art. Joshua hat schon angekündigt, dass wir kommen und den Gabelsimmering vorbestellt. Vrej, der Besitzer, hat ihn auch zügig von einem Freund in Teheran organisieren können. Wir freuen uns über die gute Organisation und treffen am frühen Nachmittag bei den Brothers ein. Vor der Werkstatt treffen wir Didi wieder. Was ein Zufall! Er war heute mit Sebastian unterwegs, der schon im Hostel untergekommen ist, in welchem wir uns verabredet hatten. Didi ist natürlich in derselben Unterkunft. Die Welt ist klein.
Josh fängt sofort an zu schrauben, aus Platzmangel in der Werkstatt tut er das natürlich mitten am Bürgersteig, was das Interesse der vielen Passanten weckt. Mittlerweile ist er Simmering-Profi und innerhalb einer Stunde ist die Gabel wieder fix und fertig. Wir verlassen die Werkstatt natürlich nicht ohne einen Tee zu trinken und ein Gebäckstückchen mit dem Gastgeber zu schmausen. Zusammen mit Vrej und Didi sitzen wir in der engen Werkstatt zwischen ölverschmierter Drehmaschine, Schweißgerät und vielen Schrauben, der Wasserkessel steht auf dem Amboss auf einem kleinen Gaskocher, wir fühlen uns wohl dort mittendrin mit unserem Becher Tee – ein schönes Bild!
Am Abend gibt es ein freudiges Wiedersehen mit Sebastian. Federico, ein italienischer Biker, gesellt sich noch zu unserer kleinen Überland-Reise-Gruppe. Wir verbringen einige Tage im schönen Isfahan, schauen uns die Stadt an, kochen gemeinsam unter Federicos Anleitung italienische Pasta und sitzen lange bei tollen Geschichten über all unsere Reisen zusammen. Isfahan gilt als Kulturhauptstadt des Iran und ist damit eine der sehr liberalen Städte des Landes. Hier fühlen wir uns alle wohl, die Blicke der Menschen um uns herum fühlen sich nicht so seltsam an wie sonst, wir können uns frei bewegen und für iranische Verhältnisse entspannt kleiden ohne uns komische Kommentare anhören zu müssen.
Ab Isfahan sind wir wieder zu dritt unterwegs: Sebastian gesellt sich noch einmal zu uns. Wir wollen weiter nach Süden, nach Shiraz. Statt der Hauptstraße nehmen wir die kleinen Bergstraßen und entgehen so dem zeitweise wahnsinnigen Verkehr. In einem kleinen Ort lassen wir uns am Straßenrand zum Mittagessen in einem Restaurant nieder. Es dauert keine zwei Minuten, da kommt ein Mann in Lederjacke und redet etwas von „police“ und „card“. Er zeigt uns einen Dienstausweis, welchen wir natürlich nicht lesen können. Nach einigem hin und her auf Farsi und Englisch stellt sich heraus, dass er scheinbar Polizist ist und unsere Ausweise sehen möchte. Er macht Fotos von selbigen und fängt an zu telefonieren. Es macht sich ein mulmiges Gefühl bei uns breit. Schließlich setzt er sich ohne Kommentar an unseren Tisch während wir essen und reicht Sebastian auffordernd das Telefon. Am anderen Ende ist angeblich jemand von der Tourismus Polizei. Er spricht zumindest Englisch und will haargenau wissen, wer wir sind, was wir machen, woher wir kommen und wohin wir fahren. Das Telefonat wird zu einem kleinen, zehn minütigen Verhör, bevor der Mann am anderen Ende wieder von Sebastian ablässt. Das Essen ist nun auch kalt. Scheinbar ist alles in Ordnung, der Polizist ist zufrieden und wir dürfen jetzt weiter essen. Ein entspanntes Mittagessen wird es nicht unter all den Schaulustigen, die sich mittlerweile versammelt haben. Der restliche Kebab ist schnell herunter geschlungen und wir sitzen wieder auf den Bikes. Ein paar Vorräte müssen wir noch kaufen, stets mit Gefolge vieler neugieriger Menschen, die auch nicht davor zurück schrecken etliche Videos von uns zu machen. Wir sind froh, als wir uns endlich wieder in die Berge verziehen können. Bei der Schlafplatz-Suche haben wir dann erneut das Erlebnis des verfolgt Werdens. Wir können in kaum einen Seitenweg einbiegen, ohne dass ein einheimisches Auto oder Motorrad aus Neugierde hinter uns herfährt. Wir wissen, dass die Menschen es nicht böse meinen, aber wir fühlen uns doch etwas unwohl so dauerhaft beobachtet zu werden. Kurz vor der Dunkelheit finden wir endlich einen Platz in einem kleinen Waldstück neben der Straße, wo wir unentdeckt bleiben. Mit dem letzten Licht bauen wir die Zelte auf und fangen im Flüsterton an, das Abendessen vorzubereiten. Komische Gegend…


Nord-westlich von Shiraz liegt die beeindruckende Perserstadt Persepolis. Wir bewundern die gut erhaltenen Mauern, Säulen und vor allem detailreichen Statuen der einstigen Metropole. Das trockene Klima hier, ähnlich wie bei den Ruinen in Tunesien, sorgt dafür, dass die Stadt nicht weiter zerfällt. Sogar die Bildhauereien in den Wänden sind noch hervorragend zu erkennen! Der Besuch hier hebt unsere Stimmung wieder. Die Mittagssonne vertreibt uns dennoch relativ zügig und wir suchen Schutz im nächsten Restaurant. Eigentlich wollten wir uns hier von Sebastian trennen, aber wir stellen beim Blick auf die Landkarte fest, dass unsere Richtungen doch sehr ähnlich sind. Vorerst wollen wir alle nach Osten. Also beschließen wir noch ein bisschen gemeinsam zu fahren. Die Chemie stimmt einfach und nach den komischen Begegnungen der letzten Tage hat auch keiner so richtig Lust alleine zu fahren. Auf dem Weg nach Kerman wählen wir wieder kleinste Straßen, auf denen der Verkehr gering ist. Wir machen uns eine schöne Zeit in den Bergen und geben uns alle Mühe das Erlebnis mit dem Sittenwächter einfach als Pech abzustempeln. Natürlich ist nach wie vor der Großteil der Menschen freundlich, aber wenn man wiederholt solche Erlebnisse hat, ist es einfach schwierig unvoreingenommen in den Tag zu starten. In Kerman bin ich es diesmal, der man erzählt, ich sei nicht angemessen gekleidet – obwohl ich schon alles bedeckt habe! Angeblich ist meine Hose zu eng anliegend. Ich habe es aufgegeben, irgendwelche Diskussionen anzufangen. Ich hole also meine einzige weite lange Hose dreckig wie sie ist wieder aus der Wäsche und trage diese. Was will man machen…
Unsere letzte gemeinsame Etappe mit Sebastian steht bevor. Ein letztes Stück geht es nochmal gemeinsam nach Osten, bevor Sebastian weiter nach Pakistan fährt und wir in den Norden des Irans abknicken. Dieses Stück hat es in sich: Es geht mitten durch die Lut-Wüste! Eigentlich sind wir dafür fast schon zu spät dran in der Saison, im Zentrum der Wüste herrschen nachmittags um die 55 Grad. Aber wahrscheinlich sind wir nur dieses eine Mal hier und da kann man es sich doch nicht entgehen lassen, einmal durch die heißeste Wüste der Welt zu fahren. Wir starten in Kerman morgens um fünf Uhr, um der schlimmsten Hitze zu entgehen. Während es auf dem ersten Bergpass noch richtig frisch ist, werden die Temperaturen nach dem Pass von Kilometer zu Kilometer höher. Von 2800 Meter fahren wir auf null.
Grüne Berghänge werden im Nu zu steinigem Geröll und schließlich zu gelbem Sand. Ein starker Wind kommt auf und sorgt für Sandverwehungen auf der Straße. Morgens um zehn befinden wir uns im Herzen der Wüste und werden bereits ordentlich gebraten. Der Schweiß läuft nur so von der Stirn, wir trinken Wasser am laufenden Band. Die Anstrengung lohnt sich, denn die Formationen der Felsen und Dünen in mitten der sandigen Mondlandschaft sind wunderschön. Es erinnert mich ein bisschen an die weiße Wüste in Ägypten. Für Sebastian ist es die erste Wüste, die er durchquert. Er ist begeistert. Auch das leichte Sandfahren mit seinem Bike macht ihm direkt Freude. Natürlich dürfen wir nicht von der Hauptstraße abfahren, aber hin und wieder gibt es links und rechts der Straße ein paar Flächen, auf denen man das Fahren im Sand problemlos ausprobieren kann. Die Hitze treibt uns aber bereits nach kurzer Zeit weiter. Wir müssen noch 180 Kilometer zurücklegen, bevor die Straße wieder ansteigt und auf der anderen Seite zurück in die Berge führt. Während der ganzen Zeit treffen wir auf einen einzigen Lkw und eine Polizeikontrolle. Ansonsten sehen wir keine Menschenseele – kein Wunder, hier kann niemand leben. In Nebandan haben wir das heißeste Stück geschafft. Von hier an trennen sich unsere Wege. Sebastian fährt nach Süd-Osten, um kurze Zeit später nach Pakistan zu reisen und wir fahren nach Norden in Richtung Bojnurd. Wir genießen ein letztes gemeinsames Mittagessen hier. Es war eine tolle Zeit zusammen und wir sind alle drei traurig, dass sie vorbei ist. Die vielen Kilometer und gerade die schwierigen Tage haben uns zusammengeschweißt. Wir werden uns nicht das letzte Mal gesehen haben. Spätestens wenn Sebastian von seiner Reise zurück ist, sehen wir uns wieder. (Instagram und Facebook: meyer_sebastian)
In einer Hauruck-Aktion fahren wir in zwei Tagen nach Bojnurd, jeweils 600 Kilometer pro Tag. Wir haben einfach genug von der Hitze. Im Norden des Iran ist es kühler und bergiger. Hier wurde uns von bekannten Motorradreisenden Mohsen Qomi empfohlen (Instagram und Facebook: Overland in Iran). Mohsen hat eine kleine Werkstatt, in der er seit Jahren Reisenden hilft, wenn sie ein Problem mit ihrem Fahrzeug haben. 2019 hat er ein Gästezimmer in seiner Wohnung eingerichtet, sodass Reisende auch bei ihm unterkommen können. Er war ein beliebter Anlaufpunkt, denn Bojnurd liegt dicht an der Grenze zu Turkmenistan. Iran – Turkmenistan war vor Covid eine beliebte Reiseroute. Die Grenzen von Turkmenistan sind aber seit zwei Jahren geschlossen und haben seit dem ersten Ausbruch von Covid bisher nicht mehr geöffnet. So verirren sich kaum noch Reisende in den Nord-Osten des Iran. Mohsen freut sich so auch riesig, dass wir zu ihm kommen und begrüßt uns freudig: “Ihr seid die ersten Motorrad Reisenden seit zweieinhalb Jahren!” Wir fühlen uns sehr willkommen bei ihm. Bojnurd ist eine kleine Stadt inmitten von Bergen und die Menschen hier sind sehr freundlich, die Mentalität ist allgemein anders als die der Menschen im trockenen Süden des Landes. Hier guckt uns plötzlich keiner mehr so komisch an oder redet unfreundlich mit uns. Die Leute sind interessiert, aber nicht aufdringlich. In Mohsens Werkstatt kann Josh ein paar Kleinigkeiten an den Mopeds reparieren. Unser Gästezimmer in seiner Wohnung ist gemütlich, wir dürfen auch alle anderen Räume und seine Terrasse nutzen. Mohsen macht uns jeden Morgen ein hervorragendes Frühstück und wir sitzen lange bei guten Gesprächen zusammen. Man merkt richtig, wie ihm die Reisenden gefehlt haben, sind sie es doch, die ihm die besten und zuverlässigsten Informationen aus aller Welt mitbringen. Wir bleiben einige Tage hier, erholen uns von der Hitze, erledigen alle unsere kleinen und großen Aufgaben und machen zum Abschluss noch einen Ausflug mit Mohsen in die nahegelegenen Wiesen und Felder. Er hat auch ein kleines Enduro Motorrad, mit dem er uns auf kleinsten Wegen durch die Natur mitnimmt. In einem Wald machen wir ein Picknick und genießen das Grün um uns herum. Unser Visum neigt sich dem Ende zu und so verabschieden wir uns von Mohsen und Bojnurd. Diese Stadt ist der östlichste Punkt auf unserer Reise. Von jetzt an fahren wir nur noch nach Westen, von jetzt an sind wir, wenn man so will, auf dem Heimweg.
Eigentlich wollten wir an der Küste des Kaspischen Meeres entlang nach Westen fahren, aber diese Küste ist ein beliebtes Ausflugsziel der Iraner. Noch dazu ist gerade irgendein Feiertag und langes Wochenende. Die Straßen quellen über von Fahrzeugen, der Verkehr ist noch gefährlicher als sonst. Wir entscheiden spontan, querfeldein über die Bergrücken zwischen Meer und Wüste nach Süden auf die Autobahn und dann südlich an Teheran vorbei nach Westen zu fahren. Die Entscheidung stellt sich als richtig heraus, hier ist viel weniger los. Wieder reißen wir viele Kilometer pro Tag herunter, am längsten über 650Km. In drei Tagen wollen wir in Tabriz sein. Erneut wird es sehr heiß, noch dazu schwül und gewittrig, doch mit nichts anderem haben wir um diese Zeit des Jahres gerechnet. Am letzten Abend bevor wir Tabriz erreichen, finden wir mit Glück mal wieder einen wirklich schönen Platz inmitten der Berge. Wir kommen an, parken die Maschinen und atmen durch – die Luft hier ist so viel besser als auf der Straße. Nach dem Zeltaufbau will Josh die Mopeds noch einmal umparken. Dabei springt sein Bike plötzlich nicht mehr an! Es scheint als haben wir eine technische Pechsträhne. In diesem Land hatten wir bereits zwei platte Reifen, ein kaputtes Radlager und einen kaputten Simmerring! Und was soll das jetzt sein? Josh beginnt zu forschen. Gut, dass wir zwei baugleiche Motorräder haben und er die Teile vom einen in das andere bauen kann. Schnell findet er heraus, dass sein Motorrad aus irgendeinem Grund die Batterie nicht mehr lädt. Laderegler oder Lichtmaschine. Baut er aber die Batterie in mein Motorrad, wird sie geladen und funktioniert ganz normal. Er tippt auf den Laderegler. Die These wird am nächsten Tag während der Fahrt überprüft. Er tauscht die Laderegler zwischen unseren Maschinen. Bei meinem Motorrad funktioniert aber weiterhin alles einwandfrei. Daran liegt es also auch nicht. Lichtmaschine.
Na toll! Jetzt müssen wir erstmal versuchen, irgendwie einigermaßen zügig die letzten 250 Kilometer nach Tabriz zu schaffen. Alle 50 Kilometer müssen wir anhalten und die Batterien tauschen, damit mein Motorrad die leere Batterie aus seinem Motorrad wieder voll laden kann. Er zieht alle Sicherungen außer der des Zündkreislaufs raus, um den Stromverbrauch zu minimieren, dass heißt er fährt ohne Licht, Tacho, Hupe, Blinker und ohne Lüfter. Keine gute Kombi bei dem Verkehr und der Hitze… wir brauchen eine gefühlte Ewigkeit, bis wir in Tabriz ankommen. In der Stadt ist der Verkehr dicht und stockend, Josh kann aber nicht langsam fahren, weil sonst das Motorrad überhitzt. Er kann aber auch den Motor nicht ständig ausschalten, weil er dann nicht mehr starten kann. Natürlich können wir das trotz Henkerfahrweise nicht völlig verhindern und ich muss ihn jedes Mal anschieben, damit er starten kann. Die Sprints setzen mir in der Hitze und in den Motorrad Klamotten ganz schön zu. Anschließend muss ich zurück zu meinem Bike hechten, aufspringen und hinter ihm herflitzen, damit wir uns nicht verlieren. Josh mogelt sich zwischen den Autos durch und muss sich vehement durchsetzen, um überhaupt irgendwie vorwärts zu kommen. Die Leute verstehen das natürlich nicht und fangen an zu schimpfen, das wiederum setzt Josh unter Druck und macht die ganze Situation nicht besser. Auf der letzten Rille erreichen wir das Hotel, das wir uns rausgesucht haben. Es entpuppt sich als dreckige Absteige, aber heute haben wir keine Wahl, wir müssen in diesem Viertel bleiben, denn hier sind fast alle Motorrad- und Schrauberwerkstätten der Stadt angesiedelt. Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Aber wie es in solchen Situationen oft der Fall ist, kommt von irgendwo eine gute Seele herbei, die die positive Stimmung zurückbringt. Im Hof des Hotels parken zwei Motorräder, eines aus Malaysia, eines aus Neuseeland. Die Besitzer kommen gerade um die Ecke, als wir ankommen:
Dave und Shima aus Malaysia und Derek und Raewyn aus Neuseeland. Schnell erkennen sie das Problem und auch, wie ausgelaugt wir sind. Die Männer widmen sich unseres Motorrads und fangen an zu fachsimpeln. Alle drei vermuten, es gibt ein Problem mit der Lichtmaschine. Derek ist der Held des Tages, als er ein Volt-Meter aus seiner Satteltasche heraus holt und damit den Verdacht bestätigt. Während Josh also die Lichtmaschine ausbaut, weichen sie nicht von seiner Seite und leisten quasi seelischen Beistand. Shima und Raewyn nehmen mich in ihre Mitte und verwickeln mich tief in ihre Gespräche und heitern mit ihrem fröhlichen Lachen die Situation auf. Der Hotelbesitzer, der erst etwas abweisend war, gesellt sich dazu und versteht schnell was Sache ist. Er bringt Josh mit der ausgebauten Lichtmaschine zum besten Mechaniker der Stadt. Zurück kommen Josh und Ali auf einer schönen 250ccm Benelli. Ali ist zufällig auch der Mann, bei dem wir auf Empfehlung anderer Reisender schon im Voraus neue Reifen bestellt haben. Da ich diese Verbindung nicht kannte, wundere ich mich gerade warum Josh hinter ihm auf seinem kleinen Motorrad sitzt und vier (!) Reifen unter den Armen hat, als sie auf den Hof fahren. Er spricht ein bisschen Englisch und tut wirklich alles was in seiner Macht steht. Der Bekannte eines Bekannten ist Spezialist für Transformatoren und Lichtmaschinen. Er kann die Lichtmaschine angeblich direkt am nächsten Tag neu wickeln! Das würde in Deutschland ein Vermögen kosten, weil es so zeitaufwendig ist und auch Kupfer aktuell immer teurer wird! Wir bleiben also am nächsten Tag in Tabriz und hoffen das Beste. Wir haben ja sowieso keine Alternativen. Die Lichtmaschine wird neu gewickelt, Josh zieht die neuen Reifen auf und wir haben eine schöne Zeit mit unseren neuen Freunden Dave, Shima, Derek und Raewyn, die auch noch einen Tag bleiben. Wir machen das Beste draus. Am nächsten Morgen holt Josh die Lichtmaschine ab und baut sie ein. Er ist direkt von der Qualität der Handwerksarbeit von Hussein, dem Spezialisten, überzeugt gewesen, als er einen Blick in seine Werkstatt geworfen hat. Ansonten hätte er ihn auch keinen Augenblick mit der Lichtmaschine allein gelassen. Derek und Raewyn sind nun beim Einabu dabei und fiebern mit. Die Stunde der Wahrheit ist beim Starten des Motorrads gekommen. Lädt die Batterie?? Wir lassen den Motor warm laufen und erhöhen die Drehzahl...das Volt-Meter sagt...Spannung, im wahrsten Sinne des Wortes...Es sagt: ...14 Volt! Geil!!! Da ist das Ding. Es funktioniert! Der Mechaniker hat also tatsächlich sehr gute Arbeit geleistet. Wir sind heil froh, es kann weiter gehen. Wir zahlen 35€ für die Neuwicklung. :-D Wahnsinnig günstig. Auch Derek und Raewyn freuen sich für uns. Die bereits gepackten Taschen werden schnell über die Bikes geworfen, wir sind abfahrbereit. Dave und Shima sind bereits auf dem Weg zur Grenze Iran – Armenien. Wir werden ihnen folgen, denn Armenien wird auch unser nächstes Land sein. Wir bedanken uns nochmal bei Derek und Raewyn und laden sie herzlich zu uns ein, wenn sie Deutschland diesen Sommer durchqueren. Wir haben uns genau im richtigen Moment getroffen, denn sie haben uns mit ihrer ruhigen Art und den netten Abenden viel geholfen, um innerlich wieder zu entpannen. Manchmal braucht man einfach nur ein paar nette Menschen, die die Stimmung wieder erhellen. Auch bei dem Hotelmanager und bei Hussein, dem Retter unserer Lichtmaschine, bedanken wir uns nochmals persönlich. Einen letzten Tee gibt es noch bei Ali, bevor wir fahren. Er freut sich sehr, dass alles so gut funktioniert hat und wir weiterreisen können. Viele Male verabschiedet er sich und wünscht uns alles Gute. Ohne ihn und seine guten Kontakte hätten wir auch einige Zeit in Tabriz festsitzen können. Danke, Ali!
140 Kilometer sind es nur noch bis zur Grenze. Bereits hier wird es merklich kühler und grüner, die Luft ist klarer und das Atmen fällt leichter. Wir freuen uns auf Armenien. Die Hitze und der Staub waren nicht ohne. Wir waren ein bisschen zu spät in der Saison, es wurde sehr schnell sehr heiß. Ich freue mich auch darauf, kein Kopftuch und keine langen Sachen mehr tragen zu müssen. Ich wusste zwar im Voraus was auf mich zu kommt, aber es war alles noch strenger, als ich es erwartet hatte. In anderen muslimischen Ländern hat man uns immer zu verstehen gegeben, dass wir nur zu Gast sind und diese, uns fremden Verhaltens- und Kleidungsregeln, für uns nicht in vollem Umfang gelten. Die Menschen wollten oft nur sehen, dass wir ihre Kultur respektieren, aber sie haben auch verstanden, dass wir trotzdem immer anders sein werden. Im Iran geht es scheinbar einfach um Konformität. Und das kommt nach unserem Gefühl nicht von den einzelnen Menschen, sondern von oben. Ich bin dennoch froh über unsere Zeit hier, in Urmia, Bojnurd und Tabriz. Wir haben viele nette Menschen getroffen, die uns geholfen haben, wo es nur ging. Ich bin froh, dass die schlechten Erlebnisse in diesem Land durch gute Erfahrungen übertroffen wurden. Ich bin froh, trotz allem den Iran bereist zu haben und aus den Erfahrungen lernen zu können.