OI003772SambiaJoshuaweb

Reisebericht 10 Sambia
Kilometer 25.300 – 30.100
Fahrstunden 456 – 540
Reisewoche 40 – 44
05.06.2021 – 07.07.2021
4800 Kilometer, 84 Fahrstunden, 33 Reisetage.


Nach 60 Kilometern staubiger Fahrt erreichen wir die kleine sambisch-tansanische Grenze Mbala. Wenn uns die Karte nicht auf die Grenze hinweisen würde, würden wir vermutlich direkt durchfahren ohne es zu merken. Ein unauffälliges Lehmgebäude mit dem üblichen silbernen Blechdach steht am Rand der Piste und ein weit geöffnetes Gatter, welches auch zum Aussperren der Rinder dienen könnte, hängt etwas schief in den Angeln zu unserer linken. Ein Grenzzaun oder irgendwelche für uns erkennbaren Markierungen existieren nicht. Hier im Busch verwischen die theoretischen Linien der Karte und die seit langem friedlich lebenden Länder gehen fließend ineinander über. Solche Grenzen haben sich in der Vergangenheit immer als besonders einfach herausgestellt. Auch diese soll keine Ausnahme bilden.

Wir holen uns die benötigten Stempel in Pass und Carnet auf tansanischer Seite ab, zeigen auf sambischer Seite lediglich unser Impfzertifikat, und bekommen dann innerhalb von Minuten unser Visum (45€). Straßennutzungsgebühr (5€) wird entrichtet und wir unterhalten uns entspannt mit der Polizei während der Zöllner mit dem Taxi aus dem nächsten Ort zu uns gefahren kommt. Zwanzig Minuten später ist auch das Carnet vom Zoll begutachtet und gestempelt. Willkommen in Sambia!

 


OI003368 KopieWahrlich, wir werden willkommen geheißen: von jedem Kind, jedem Straßenarbeiter, jedem Landwirt mit seinem Ochsenkarren, jeder Wasserträgerin, jedem sonntäglichen Kirchengänger, jedem Fahrrad- oder Moppedfahrer, den Holzsammlern und Holzkohlelieferanten, Gemüservekäuferinnen, einfach allen die auf und an der Straße unterwegs sind. Sie heben die Arme und rufen: „Willkommen!“, „Hallo!“, „Weißer!“, „Gute Reise!“ und vieles, was wir nicht verstehen. Die Kinder reißen die beiden Arme parallel nach oben und wollen uns am Hinterrad fahren sehen, sie rufen: „Schneller, schneller, Gas, Gas!“ und blicken alle bewundernd und respektvoll auf unsere Motorräder. Sie lieben uns mit unseren Bikes hier in Sambia ohne jeden Anflug von Neid. Wo wir anhalten, versammeln sich die Leute, um uns interessierte Fragen zu stellen. Sie möchten mal wieder etwas aus der Welt hören, wo doch in letzter Zeit so wenige unterwegs sind. Die Kinder fassen unsere Motorräder an und schauen auf den Tacho, wo für sie die Seele des Motorrads sitzt. „Wie schnell fährt es?“, „Wie viele Tage seid ihr schon unterwegs?“, „Habt ihr denn genug Benzin für so weite Wege?“, „Fahrt ihr auch dort und da entlang? Es ist sehr schön da!“. Wir freuen uns über das ehrliche Interesse an unserer Tour, über die vielen Tipps zur Route durch Sambia, über die tausend lachenden Gesichter, die uns in diesem Land begleiten.

Wir haben in diesem neuen Land leichtes Spiel auf der Straße. Für Motorräder gibt es keine Regeln. An den Geschwindigkeitskontrollen wird die Laserpistole schnell auf den Boden gerichtet, wenn wir kommen, an den regelmäßigen Polizeikontrollen werden wir rechts oder links an der Schlange vorbei gewinkt. Versicherung, Mautgebühren, Führerschein braucht man nicht als Motorradfahrer. Durchgezogenen Linien, Einbahnstraßen, rote Ampeln gelten nicht für Biker. Autofahrer, LKWs und sogar Busse nehmen Rücksicht auf uns, lassen uns stets vorbei und überholen nicht einmal wenn wir entgegen kommen. Wir fühlen uns königlich. Durch die gegenseitige Rücksichtnahme ist der Verkehr, trotz Narrenfreiheit der Biker, deutlich sicherer als noch in Tansania oder gar Kenia. Und dazu auch noch zügiger. Wir haben selten so viel gelacht unterm Helm wie hier in Sambia. Das Fahren macht einfach nur Spaß.

Von Mbala aus fahren wir auf einen Abstecher an den glasklaren Tanganyika See. Seit Georg Eisenmenger mir vor sieben Jahren auf der anderen Seite des Kongo von dem nahezu durchsichtigen Wasser des Tanganjika erzählte, war es mein Traum einmal dort zu schwimmen. Der See bildet die nasse Grenze zum Kongo, zu Tansania und im Norden auch zu Burundi. Hier lernen wir Jim und Ed kennen, die beide für ein britisches Unternehmen Krankenhäuser in entlegenen Regionen Sambias bauen und verwalten. Ihr Fahrzeug ist ernsthaft beschädigt und sie sind sprichwörtlich gestrandet hier an den Ufern des zweittiefsten Sees der Erde in den südlichsten Ausläufern des afrikanischen Rift Valley. Doch bevor wir uns unterhalten können, stürze ich mich in die Fluten und fühle mich, als ich nach ein paar kräftigen Zügen die Augen unter Wasser öffne, tatsächlich als würde ich schweben. Den Weg war es definitiv wert! Später erzählen mir einige Fischer von ihren Erlebnissen mit den Krokodilen in Ufernähe und es bleibt leider bei diesem einen erfrischenden Ausflug in die Fluten. Unwissenheit ist doch ein Segen.
OI003424Wir verbringen mit Jim und Ed eine schöne Zeit am See und treffen dort auch die ersten Überlandreisenden seit langem. Zelda und Eric aus Südafrika sind aber leider in entgegengesetzter Richtung unterwegs. Wir haben ein paar Tipps füreinander und verabreden uns 2022 in Europa, das ist ihr ehrgeiziges Ziel mit dem alten Landcruiser, den sie umgebaut haben. Nach ein paar Tagen haben wir das Gefühl im Land angekommen zu sein und brechen voller Abenteuerlust auf, um Sambia zu erkunden.
OI003351OI003374Der Weg führt uns an der kongolesischen Grenze weit weg von der Hauptverbindung, der Great North Road, durch den sambischen Busch. Ziel sind die relativ unbekannten Lumangwe Wasserfälle im abgelegenen Nordwesten der Osthälfte Sambias. Eingekreist vom Kongo und wirtschaftlich nicht so bedeutend ist ein großer Teil des Weges unbefestigt und teilweise sogar für Allradfahrzeuge nicht so einfach zu befahren. Wer hier heimisch ist, bewegt sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad, der logistischen Allzweckwaffe Sambias. Mit dem Fahrrad wird hier alles erledigt und transportiert. Sie sind sogar von den Exportzöllen und Regularien beim Grenzübertritt in die angrenzenden Länder befreit. Wir genießen die abgelegenen Pisten. Da es trocken ist, haben wir auch keinerlei Probleme beim Befahren der schmalen Pisten. Wir fühlen uns hier sehr gut aufgehoben, campieren öfter im Busch etwas abseits der Straße. Es gibt hier kaum Zäune, das ganze Land liegt zwar auf einem über 1000 Meter hohen Plateau, ist aber in seiner Struktur sehr flach. Es ist leicht, einfach der Nase nach in die Steppe hinein zu fahren, um einen hübschen Platz für das Zelt zu finden.

Die Lumangwe Wasserfälle sind im Gegensatz zu den weltbekannten Victoria Falls zu normalen Zeiten schon spärlich besucht. Wir sind dort völlig allein und können kostenlos direkt an der Abbruchkante der Klippe, über welche das Wasser stürzt, campen. Wenige Meter bevor das Wasser in die Tiefe rauscht, nehmen wir ein Bad. Die letzten Tage in der Steppe haben wir eher wenig Wasser gesehen. Obwohl Sambia das wasserreichste Land des südlichen Afrikas ist, gibt es lange wasserlose Ebenen auf dem Hochplateau und die Trinkwasserversorgung ist längst nicht überall gesichert. Nun kommt die Erfrischung gerade recht. Am Abend gibt es wie so oft ein paar Bohnen, in der Dose auf dem Feuer erhitzt, mit Toastbrot. Normale Routine in den abgelegenen Gebieten ohne Supermärkte.
OI003473Am nächsten Tag auf dem Weg nach Süden, immer noch der Grenze folgend, fällt uns auf, dass die Tankstellendichte doch geringer ist als angenommen. Wir kommen mit dem letzten Tropfen Sprit in Mansa an und müssen am nächsten Tag sogar 100 Kilometer Umweg in Kauf nehmen, um rechtzeitig volltanken zu können. Dabei ist unsere Reichweite mit 500 Kilometern nicht eben gering. Auch finanziell wird es sogleich etwas enger, als der dritte Geldautomat in Folge trotz großem „We accept VISA“ Aufdruck nichts von unserer Karte wissen will. Auf Nachfrage bekommen wir zu hören: „Das müsste aber funktionieren“. Der Filialleiter der Atlas Mara Bank versichert also, dass es funktionieren müsste, den Automaten allerdings scheint das nicht zu interessieren. Unsere Dollars möchte uns in der Bank auch niemand wechseln, weil sie „beschmutzt“ sind. Sie sehen eben nach 25.000 Kilometern Afrika nicht mehr aus wie neu. Hier in Sambia sind sie damit wertlos. Die Infrastruktur im ländlichen Sambia hat sich im Vergleich zu meinem ersten Besuch vor sieben Jahren verschlechtert.

OI003583OI003577Nach unserem Umweg nach Serenje fahren wir, immerhin vollgetankt und mit ein paar Vorräten ausgestattet, in die Mutinondo Wilderness. Wir hoffen dort einfach mit unseren Dollars bezahlen zu können oder wir arbeiten unseren Soll einfach ab. Lari begrüßt uns überschwänglich, als wir nach 25 Kilometern über eine schöne Piste durch die hier typischen Inselberge in der Mutinondo Wilderness Lodge eintreffen. Sie freut sich sehr mal wieder ein paar „echte Reisende“, wie sie uns nennt, beherbergen zu dürfen. Wir bekommen den schönsten Platz mit freiem Blick ins Tal und viel Feuerholz für ein Drittel des normalen Preises angepriesen. Aus der ursprünglich geplanten Nacht werden vier. Wir lassen die Motorräder stehen und unternehmen zwei ausführliche Wanderungen in den bis zu 1700 Meter hohen Inselbergen inklusive Bad im eiskalten Wasserfall. Sambia ist wirklich das Land der Wasserfälle. Nach nur zehn Tagen haben wir bereits fünf Wasserfälle besucht und viele mehr am Wegesrand liegen lassen. Das Gelände und die Pfade der Lodge sind wirklich weitläufig. Es gibt zwei Flüsse, viele kleinere und größere Bergkuppen, Fälle und weit verteilte Campingmöglichkeiten. Lari hat nicht nur den Platz sondern auch über 100 Kilometer Pfade angelegt und mit Wegweisern gekennzeichnet. Es gibt auch eine eigens erstellte Wanderkarte. Hier kann man wirklich viele schöne Tage in der Natur verbringen. Lari kommt jeden Tag vorbei, um sich mit uns zu unterhalten und ein paar Geschichten ihrer letzten 30 Jahre in der Mutinondo Wilderness zum Besten zu geben. Am letzten Tag bekommen wir noch ein überragendes Frühstück serviert, damit wir fit für den langen Weg nach Lusaka sind, unseres nächsten Ziels.
Helmut und Felicitas Anschütz leben und reisen seit 22 Jahren in Afrika. Seit sieben sind sie nun in Sambia. Helmut leitet ein Pilotprojekt der Deutschen Entwicklungshilfe in Zusammenarbeit mit sambischen Institutionen, welches in Sambia die Effektivität bodenschonender Landwirtschaft ermittelt. Felicitas ist für die Deutsche Botschaft in Lusaka tätig. Die beiden habe ich das letzte Mal vor sieben Jahren auf meiner ersten Afrikadurchquerung gesehen, wobei Helmut zwischendurch mal auf einem unserer Vorträge in unserer gemeinsamen Heimat Bad Hersfeld vorbei geschaut hat. Die beiden haben sich schon auf uns gefreut und erwarten uns am Eingangstor ihres Häuschens nahe des Entwicklungsprojekts, 50 Kilometer nördlich von Lusaka. Sie haben das Gästezimmer vorbereitet. Es wartet ein leckeres Abendessen auf uns. Nach vielen Nächten im Zelt wissen wir das gemütliche Zimmer sehr zu schätzen. Eine warme Dusche und natürlich der frischgemahlene Filterkaffee runden das Ganze ab. Am schönsten ist aber der Austausch unserer erlebten Geschichten der letzten sieben Jahre. Wir sitzen bis spät in die Nacht, es ist als würden sich uralte Freunde nach langer Zeit wieder begegnen. Es ist nicht der letzte Abend, der sich ausdehnt während wir uns völlig verquasseln.
OI003736Zwischen den vielen Geschichten müssen wir uns allerdings auch noch um die anstehende Wartung der Motorräder, und Helmut und Feli um ihre Arbeit kümmern. Ein neues Ritzel und ein neuer Vorderreifen möchten in Lusaka gefunden werden. Erste Adresse ist Honda Sambia. Montag Morgen. Zehn Uhr Fünfzehn. Wir betreten den Verkaufsbereich von Honda Sambia. Fünf Minuten später sitzen wir bei einem Kaffee, zwei Etagen höher, beim Geschäftsführer von Honda Sambia, Nick. Neben uns Stewart Parkes, Vorsitzender des größten Enduro- und Motocross-Clubs Sambias und George Samaras, Sponsor und Fahrer der berüchtigten Siavonga 400. Ritzel und Reifen sind schnell aus dem Lager geholt. Weit länger dauern die Gespräche über unsere Reise. Für zwei Stunden steht der arbeitsintensive Montagmorgen bei Honda still und wir philosophieren übers Motorradfahren. Willkommen in Sambia. George und Nick laden uns zu ihrer samstäglichen Endurotour in die Canyons südlich von Lusaka ein, Stewart möchte uns gleich für eine ganze Woche als Jugendtrainer auf seiner Trial- und Hartendurostrecke in Mkushi einspannen. Motorräder, Benzin und Unterkunft gehören bei diesen Einladungen natürlich zum guten Ton. Wir können es kaum glauben.
Aber nun kann ich mich in der Werkstatt hinter dem Teileverkauf bei Honda erstmal nach Belieben austoben. Ritzel und Reifen sind da schnell gewechselt. Die Bikes sind also wieder fit für die nächsten 10.000 und wir haben Zeit uns selbst ein bisschen fit zu machen.
OI003617OI003622Samstag morgen um 07:00 betrachten wir unsere Bikes für die frühe samstägliche Spaßtour. Für Joana ist es die erste Ausfahrt auf einer richtigen Enduromaschine: eine Husaberg FE 350. 33cm Federweg, 97cm Sitzhöhe, 108 Kg, 50 PS. Ich fahre eine KTM EXC-F 350 SixDays. Wenn die Maschinen erst einmal rollen und man sicher auf den Rasten steht, sind sie unaufhaltsam. Gerade Joanas Husaberg schiebt sich jeden Hügel hoch wie ein Traktor. Über schmale Fußpfade führt uns George in seine Spielwiese, das „Escarpement“ südlich von Lusaka. Felsige Abhänge, rutschige Anstiege, schlammige Wasserläufe und zugewachsene Waldwege. Fahren kann man überall wo kein Zaun steht und wenn mal einer den Weg versperrt, wird mit dem Saitenschneider ein kleines Tor geöffnet (und hinter uns wieder verschlossen). Wir treffen viele Menschen vor ihren kleinen Hütten. Sie alle grüßen uns überschwänglich und die Kinder wollen, dass wir unser Vorderrad heben. Gelegentlich hält George an und erkundigt sich nach dem Wohl des einen oder anderen Bewohners.OI003624Er verteilt hier mal eine Flasche Wasser und bringt dort, wie letzte Woche versprochen, ein paar Medikamente vorbei. Man kennt sich und respektiert sich. Freies Motorradfahren durch die Vorgärten und Felder der Leute steht hier nicht im Konflikt mit deren Interessen. Sie freuen sich über den Sound der Maschinen und die Kunststücke der Fahrer, wie Kinder es tun bevor man ihnen einredet, dass Motorräder Teufelszeug seien. Wie schön, dass es das noch gibt. Wenn wir unseren Kindern eines Tages erzählen, dass es einen Ort und eine Zeit gab in der man mit seinem Motorrad überall durchfahren durfte, sie werden uns wohl verständnislos anschauen und für verrückt erklären. Am Nachmittag beenden wir unsere Tour. Geschafft kommen wir nach einer großen Rundtour aus dem dichten Buschland in die Vorstadt Lusakas geplatzt und kurze Zeit später wieder bei George an. Selbstredend grüßt uns ein vorbeifahrender Polizist nett aus seiner runtergekurbelten Seitenscheibe. Kurz kribbelt es in der Magengegend und ich schmiede schon Ausreden und Fluchtpläne, nur für den Fall, alte Gewohnheit aus der Heimat. Es interessiert ihn aber scheinbar nicht, dass wir ohne Lichter, Blinker, DB-Killer, straßentaugliche Bereifung, Papiere, Versicherung oder gar Nummernschild unterwegs sind und Nick in diesem Moment sogar auf nur einem Rad fährt. Man interessiert sich hier nicht für Bikes. „Die Polizei weiß: Schwere Unfälle werden von den schweren Fahrzeugen verursacht“, meint George, „LKWs, Transporter und große Pickups. Sie werden oft kontrolliert, Motorräder nie“.
OI001834Da wir gerade im südlichen Lusaka sind, erinnern wir uns an die Einladung unseres Bekannten vom Tanganyika See, Jim, und statten ihm einen Besuch ab. Er wohnt unweit von Georges Anwesen. Aus dem Besuch werden drei Nächte in seiner schönen Unterkunft, die wir mit ihm und seinen drei Kollegen Tendai, Grant und Ian teilen. Nachdem wir uns in guter Gesellschaft etwas ausgeruht haben, treten wir den Weg nach Mkushi an. Ein Endurotraining wartet auf uns. Mal sehen was da auf uns zukommt.
Wir fahren über staubige Feldwege in weiten Kurven um die kreisrunden Felder. Gelegentlich blitzt Wasser von den aufgestauten Bewässerungsseen durch die Büsche und Bäumchen, die in der Peripherie der grünen Kreise wachsen. In der Ferne sieht man felsige Hügel aufragen. Die Luft ist von der kühlen Feuchte der stetig bewässernden Sprenkler erfrischend kühl. Es riecht wie frischer Acker nach einem ergiebigen Regen, gemischt mit fremden Aromen der subtropischen Vegetation. Der Weg verläuft über einen der Staudämme. Für kurze Zeit sind wir etwas höher als die Felder und Bäume, die uns umgeben und beginnen die Dimension der uns umgebenden Landschaft zu begreifen.
OI003728Durch ein eisernes Tor gelangen wir ins Zentrum einer Farm. Der Mais wird gerade in Säcke verpackt, einige Maschinen auf der großen Wiese gewartet. Es geht ansonsten eher gemütlich zu, keine Ernte oder Aussaht stehen gerade an. Unser Gastgeben Stewart ist nicht etwa hauptberuflicher Enduro Sponsor, Vorsitzender des größten Motorradverbandes Sambias, oder Ausrichter der sambischen MX Meisterschaften. Das sind eher seine Nebentätigkeiten. Stewart ist Landwirt. Er bewirtschaftet 2000 Hektar, beschäftigt 150 permanente Arbeiter und gibt, wenn die Ernte ansteht, weiteren 160 Menschen Arbeit. Die Farm ist auch für sambische Verhältnisse groß und die Standards sind hoch. Die Beschäftigten, mit denen wir gesprochen haben, sind sehr zufrieden mit ihrem Job.
Es gibt eine kleine Siedlung auf der Farm, in der die Beschäftigten, teilweise auch ihre Familien wohnen dürfen. Bei guter Arbeit bekommen sie zusätzlich zum Lohn kostenlose Verpflegung. Diese Motivation ist leider notwendig, da ein Großteil der Vergütung oft in den ersten Tagen für zweifelhafte Genussmittel ausgegeben wird und gegen Ende des Monats für Verpflegung nicht mehr viel übrig bleibt. Durch die Versorgung vor Ort ist sichergestellt, dass die Arbeiter auch am Ende des Monats etwas Vernünftiges zu beißen bekommen. Die Ländereien liegen in einer traumhaften Kulisse. Die weiten Felder und die Berge werden gelegentlich von kleinen Seen unterbrochen. Außer den Unterkünften gibt es keine Spur von Siedlungen. Keine aufsteigenden Rauchsäulen von illegaler Holzkohle-Herstellung, keine schreienden Kettensägen in der Ferne, keine Funkmasten oder Windräder. Dafür viele wilde Tiere: Gazellen, Kudus, Zebras, Gnus, zahlreiche Vögel, Krokodile, Hyänen, Schlangen und einiges mehr.
OI003730OI003731Inmitten der Farm am Ufer einer der Stauseen, die zur Wasserversorgung der Felder dienen, liegt das Farmhaus der Familie Parkes. Ashleigh Parkes, Stewarts Frau, begrüßt uns sogleich mit einem Kaffee und etwas Kuchen. Wir lernen Stewarts Sohn Shane, seine Tochter Caitlin und Shanes Schulkamerad und Motocross-Kumpel Michael kennen, der für ein paar Tage zum Trainieren vorbei gekommen ist. Im alten Farmhaus nebenan werden wir einquartiert. Ein gemütliches Schlafzimmer, ein geräumiges Bad mit Wanne und ein Wohnzimmer voller Motorräder laden zum Verweilen ein. Jeden Tag kocht uns Küchenchef Frank köstliche und stärkende Mahlzeiten für die anstrengenden Trainings.
Um uns eine Eindruck seiner Interpretation des Begriffs „Motorrad-Enduro“ zu geben, organisiert Stewart gleich am Tag nach unserer Ankunft eine, in vielerlei Hinsicht, grenzüberschreitende Expedition in die Wildnis nördlich der Farm an der Grenze zum Kongo. Die kleine „Kennenlerntour“ zeigt jedem seine persönlichen Grenzen und erinnert uns daran, was das Wort „Enduro“ (abgehärtet, Ausdauer) entgegen des Begriff-Missbrauchs für sonntägliche Feldwegabstecher mit dem Straßenmotorrad ursprünglich bedeutet. Mit Stewart an der Spitze, Shane, Michael, Caitlin und Joana in der Mitte und mir am Ende fahren wir bis ans Ende aller Wege, mitten ins Nirgendwo immer nach Norden Richtung Grenze. Hier steigt Joana aus. Allein die 20 Kilometer bis hierhin sind schon sehr fordernd. Ich ahne nicht, dass es hier erst richtig losgehen soll. Anhand einer präzisen Karte mit detaillierten Höhenlinien legen wir gemeinsam eine Linie fest, die uns eventuell, zumindest was Hangneigung und Flussdurchquerungen angeht, fahrbar erscheint. Es sollten ca. 60 Kilometer sein. Ich frage mich schon, was wir mit dem Rest des Tages anfangen wollen bei dieser lächerlichen Distanz. Diese Frage erübrigt sich schon nach den ersten Kilometern.OI003688OI003651Die Kids sind wahnsinnig gut auf den Bikes. Das Terrain ähnelt einer sehr langen Trialsektion. 60 Kilometer lang um genau zu sein. Baumstämme quer und längs, hüfthohe Felsstufen, grobe Geröllfelder, Ansteige, die man kaum laufen kann, Gefälle, bei denen man das Motorrad quer und Stück für Stück runterziehen muss. Ich fahre eine 125ccm Husqvarna Enduro, die nur 95 Kilo wiegt, aber nach 20 Kilometern habe ich das Gefühl sie würde Tonnen wiegen. Matschige Sumpflandschaften, drei Meter hohes Gras, festgefahrene Motorräder, die wegen des dichten Bewuchses rechts und links der Schneise, die Stewart zieht, nicht einmal umfallen können. Und ich sammle hinten die Brocken auf, kicke Caitlin das Motorrad an, wenn die Kraft fehlt, stelle mich an schwierige Stellen, um Shane die Fahrtechnik zu erklären und mache, wenn es gerade mal kurz reinpasst, auch ein Foto. Für die ersten 20 Kilometer brauchen wir, obwohl die Motoren immer laufen, fast zwei Stunden. Die Wildnis hier fordert alles. Caitlin mit ihren dreizehn Jahren begeistert mich am meisten, sie beißt sich wirklich überall durch und steht den älteren und kräftigeren Jungs in nichts nach. Was an Körperkraft fehlt, gleicht sie mit Willenskraft aus. Wenn man es noch nicht ist, dann wird man es hier: abgehärtet und ausdauernd. Wir werden von Fremden zum Team. Diskutieren über die Route, helfen uns aus dem Schlamm, reichen uns Wasser, stützen uns, helfen uns hoch.
OI003662Anfänglich dachten wir Stewart wäre nur ein Landwirt mit etwas Begeisterung für den Motorsport. Er redet nicht viel darüber warum er Dinge tut oder was er noch alles tun möchte, er tut es einfach. Es steckt allerdings mehr dahinter als nur der Spaß am Fahren. Er erinnert die Kinder stets daran ihre Grenzen zu kennen. Hier im Busch gibt es keine Hilfe von außen. Kein Helikopter kann in diesem Urwald landen, kein Allradfahrzeug kann hier hereinfahren, zu Fuß würde es einen Tag dauern bis hier durchzudringen. Es gibt hier keinen Netzempfang. Wir wissen nicht einmal, ob wir noch in Sambia oder schon im Kongo sind. Wer seine Grenzen überschreitet, der gefährdet das ganze Team. Es geht nicht darum der Schnellste zu sein, betont er immer wieder, es geht darum seine Route mit bedacht zu wählen, sie bestimmt und sicher zu fahren und gegebenenfalls den Rest des Teams zu leiten. Es geht um Selbstvertrauen, Verlässlichkeit und vor allem Disziplin. Diese Enduro-Expedition erinnert ein bisschen an Überlebenstraining. Mit dem Motorrad. Nach 90 Kilometern kommen wir am späten Nachmittag völlig erschöpft an der Farm an. Erst jetzt habe ich eine Vorstellung, was er meint, wenn er von Enduro spricht. Gut, dass ich den Kindern nur die Fahrtechnik beibringen soll. Am nächsten Tag also geht es auf die Trialmaschine. Da kann auch Joana wieder mitmischen.
OI003657Der MX Track ist die Endurostrecke im kleinen. Es gibt ganz klare Regeln. Eine davon ist kein Alkohol vor, während, nach oder in der Nähe der Strecke. Auch nicht bei Rennveranstaltungen. Stewart hat nicht nur die hervorragende Motocrossstrecke mit Vereinsheim und angrenzend 28 Kilometer abgesteckter Enduro Wettbewerbsstrecke in Eigenregie gebaut, er hat auch Vereinsmotorräder für interessierte Kinder und Jugendliche aus der Gemeinde gekauft, die nicht das nötige Kleingeld haben. Einzige Bedingung für die Benutzung: Disziplin. Die Schulleistungen müssen stimmen, kein Drogenmissbrauch, weder beim Training, noch im Alltag, keine Aggression gegen andere Fahrer, Wertschätzung der Maschine, der Strecke und des Teams. Das Alkoholproblem ist in Sambia, wie in vielen afrikanischen Ländern, allgegenwärtig und schwer in den Griff zu bekommen. Das Training gibt den betroffenen Fahrern ein Ziel, sie bekommen Wertschätzung entgegengebracht, sie fühlen sich angenommen in der Familie der Biker.
OI001984Die Strecke existiert seit drei Jahren. Bei den zahlreichen Rennveranstaltungen jedes Jahr sind es oft weit über tausend Zuschauer aus den umliegenden Dörfern und Gemeinden, Fahrer kommen aus dem ganzen südlichen Afrika. Es ist wie ein großes Fußballspiel. Die Fahrer sind die Stars und Vorbilder. Sie zeigen eindrücklich was man mit etwas Talent, Mut und Disziplin erreichen kann, wenn sie scheinbar schwerelos mit ihren Motorrädern über die Schanzen der Motocross Strecke oder die Pfade und Felsen der Steppe fliegen. Stewart hofft mit diesem Beispiel ein Umdenken der zurückgelehnten Laissez Faire Einstellung vieler Menschen dieser Gegend zu bewirken. Er möchte sie wachrütteln und ihnen eine neue Perspektive geben. Mach was aus dir! Das Konzept wird bis jetzt sehr gut angenommen. Drei Jahre sind es seit dem ersten Motorrad auf der Strecke. Sieben lokale Fahrer, von denen bereits zwei an nationalen Rennen teilnehmen. Neben vielen kleinen Sponsoren haben sich auch Honda und Toyota dazu entschieden, die Aktion zu unterstützen. Motorsport als Entwicklungshilfe.
gallery}Reise/10Sambia/10WegLivingstone{/gallery}OI003703OI003710Wir verbringen eine herrliche Woche auf der Farm. Jeden Tag wird trainiert. Wir können uns überall frei bewegen und jeden Fels, der uns in den Sinn kommt, fahren. Es herrscht eine Freiheit hier, wie wir sie uns in der Heimat nur erträumen. Ohne die ganzen Regeln lernen auch die Kinder und Jugendlichen, zumindest jene die vernünftige Eltern haben, viel früher eigene Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Am letzten Tag ist Stewart unterwegs auf der Farm und Shane möchte mit der Trialmaschine auf einen 15 Kilometer entfernten Abschnitt der Endurostrecke. Wir nehmen den großen Pickup und verladen das Motorrad. Als ich Ashleigh frage, ob ich beim Fahren des Pickups etwas beachten muss, meint sie nur: „Danebensetzen und genießen!“. Shane hat die Maschine bereits festgezurrt, sitzt am Steuer und wartet auf uns. Er fährt die 15 Kilometer, teilweise schwierige Piste mit einer Sicherheit, ich denke nicht einmal daran den Gurt anzulegen, was hier ohnehin nur für Kopfschütteln sorgen würde. Er fährt den 3 Tonnen Pickup mit mehr Geschick und Präzision als die meisten europäischen Fahrer und Fahrerinnen nach fünfzig Jahren Führerschein. Er hat mit acht Jahren angefangen. Wir haben die Familie Parkes nach der Woche ins Herz geschlossen und sie uns. Zum Abschied gibt es Tränen, aber wir müssen irgendwann auch weiter. Das nächste Land wartet bald auf uns.
OI003800gallery}Reise/10Sambia/11Livingstone{/gallery}Wir besuchen Feli and Helmut auf dem Weg nach Süden ein letztes Mal zum Abschiedsgrillen. Von dort aus geht der Weg durch die südlichen Ausläufer des Kafue Nationalparks zum größten Wasservorhang der Erde. Livingstone. Hier machen wir ein touristisches Wochenende, zum Glück zu Corona Zeiten ohne andere Touristen. Victoria Falls, Bootstour, Espresso im Royal Livingston, Lagerfeuer am Campingplatz. Wir lernen mal wieder andere Reisende kennen, Erwan und Hannari aus Frankreich und Südafrika und lassen uns wieder einmal ein Stäbchen in die Nase stecken, um über die Grenze zu kommen. Bis auf den traurigen Tag an dem die Affen mein geliebtes Kopftuch klauen, ist es eine schöne Zeit und eine entspannte Abwechslung für die motorradgeschundenen Knochen. Aber wir wollen nicht zu bequem werden, also auf geht’s, die letzten Kilometer Richtung Namibia!OI003747